Wie das Jubelfest von und für die algerische Regierung zu den Weltfestspielen der demokratischen Jugend und Studenten wurde. Eindrücke einer Berliner Teilnehmerin


Am Samstag den 4. August verließen wir mit einer kleinen Verspätung den Flughafen Schönefeld. Die politische Verabschiedung mit Reden, Fahnen und Liedern hinterließ bei mir einen kleinen Hauch Schwermut. Dieser wurde jedoch von dem trockenen , warmen Wind auf dem Flughafen Algiers und den ersten Eindrücken beim Landeanflug vertrieben. Unter uns lag eine riesige, halbmondförmige Stadt mit Wasserblick und deutlich sichtbaren Wellblechhütten (ca. 3 Slums gesichtet). Nun, als erste größere europäische Delegation anzukommen , erwies sich als nicht unkompliziert . Zumal sich in unserer Delegation zwei Palästienenser und drei exilirakische Kommunisten ohne Einreisevisum befanden. Für uns gab es zum Empfang allgerische Fernsehteams von allen Seiten und eine zweistündige Wartezeit, damit auch dem Delegationsteil ohne Visum Einlaß gewährt wurde.
So fuhren wir mit dem ersten politischen Erfolg zur Akreditierung, der zum Beispiel für andere europäische Delegationen wurde. Unter anderen nahm die Delegation Großbritanniens fünf weitere kommunistische Exiliraker ohne Visa mit.

Mit einer sehr herzlichen Begrüßung, Kaltgetränken und Delegiertenpäckchen (Stofftasche, T-Shirt, Basecap) wurden wir in der Universität, wo auch die großen politischen Veranstaltungen und Foren stattfinden sollten, empfangen. Nach zwei Stunden fuhren wir, um den Hals unsere Delegiertenausweise, die zum festen Bestandteil unseres Outfits wurden, zu dem Universitätscampus Ben-Aknoun. Hier befand sich der Eurasisch-pazifische Club, der zwei Wochen lang unser zu Hause werden sollte. Am Abend gab es für uns algerische Musik, Tanz, ein Kennenlernen unserer algerischen Freunde und Dolmetscher.

Wer zu erst kommt… Nach diesem Motto schmückten wir unsre Schlafstatt und suchten uns die besten Plätze für unsere politische Agitation. Nach dem Eröffnungstag und der pompösen Friede-Freude-Bühnenschow und dem bestimmt super teuren Feuerwerk in einem von 100.000 Menschen besuchten Stadion, darunter 7000 Delegierte, brauchten wir dringend Erholung, die wir uns jedoch erst in Deutschland gönnen konnten.

Unsere Delegationsleitung war vor und während des Festivals überwiegend damit beschäftigt, organisatorische Probleme zu lösen, denn es erwies sich als äußerst diffizil, ein politisches und kulturelles Eurasisch-pazifisches Pogramm in dem gleichnamigen Club zu gestalten. Dies wurde forciert durch die fehlende Informationsweitergabe, das Sabotieren und Ignorieren des Weltfestspieleprogrammes seitens der algerischen Verantwortlichen sowie die algerische Affinität, überall, zu jeder Zeit, überdimensional laute, sich wiederholende algerische Musik zu spielen.

Eine kurze und prägnante Aussage in der algerischen regierungstreuen Zeitung „Horizons“ dazu: die 15. Weltfestspiele seien „eines der erfolgreichsten Festivals der Geschichte“ gewesen, und zwar deshalb, weil sie erstmals in einem afrikanischen und arabischen Land und „weit weg vom Zugriff der Kommunisten“ stattgefunden hätten.

Aber nicht dies allein war Algerien. Wir haben aus eigenem Beobachten und den Unterhaltungen mit unseren algerischen Freunden festgestellt, daß dies ein Land einer regimekritischen, für ihre Rechte kämpfenden Jugend (70% der Bevölkerung sind unter 25 Jahre) ist. Die Arbeitslosenquote liegt bei mindestens 30%, ihnen gehört unsere Solidarität beim Kampf für Demokratie und soziale Gerechtigkeit! Einerseits war Algerien die reaktionäre Militärdiktatur um Bouteflika mit ihren Demonstrationsverboten und den „Heil Hitler“ Rufen vieler Jugendlicher, sobald sie wußten „Allemagne“, und andererseits erfreute, freundliche, aufgeschlossene, interessierte Algerier und die klasse Algerien-Deutschland Fußballfreundschaftsspiele. Bei denen wir dem Ruf des deutschen Fußballs gerecht werden konnten und haushoch verloren.

Der Donnerstag ließ sich bis auf die üblichen Komplikationen z.B. mit dem Transfer gut an.
Der Freitag begann für mich und viele andere sehr unerfreulich. Ich besuchte den Kolumbien-Workshop, der auf Grund organisatorischer Defizite fast drei Stunden später begann. Und leider für mich und alle anderen, die Spanisch nicht beherrschten (Festivalsprache ist Englisch!), nach 30 Minuten endete. Natürlich waren die sonst immer anwesenden und zahlreichen Dolmetscher urplötzlich verschwunden. Enttäuscht gingen wir zurück in unseren Club, wo weitere Hiobsbotschaften auf uns warteten. Auf dem Forum „Frieden und Sicherheit“ waren die irakischen Genossen unserer Delegation bei der Artikulation ihres Redebeitrages von massiv auftretenden, lautstark protestierenden Irakern der Staatsdelegation behindert worden. Diese wirkten sehr schnell gezielt unter brutaler physischer Gewaltanwendung auf die exilirakische Opposition und die sie beschützenden SDAJ-ler ein. Es gelang die Verletzten und Geschockten durch eine Nebentür herauszuschleusen. Alle Foren wurden abgebrochen . Anwesende waren entsetzt , dies hatte es bisher auf keinen Weltfestspielen gegeben.
Die Delegation der SDAJ reagierte sehr schnell und verfasste eine Erklärung an das IOC (Internationales Vorbereitungskomitee) und den WBDJ (Weltbund der demokratischen Jugend), in der wir den Ausschluss der irakischen Delegation forderten. Ansonsten würden wir unsere weitere Teilnahme an den WFS überdenken, denn wir sahen nicht nur unsere Sicherheit, sondern auch den demokratischen und friedlichen Charakter der WFS gefährdet. Doch wir fuhren nicht! Wir setzten die Priorität auf die Tradition und die Zukunft der WFS-Bewegung, die wir in jedem Falle stärken wollen und werden. Die meisten Delegationen stimmten mit unseren Forderungen überein, zeigten dies mit offenen Solidaritätsbekundungen und kämpften mit uns zusammen für politische, antiimperialistische WFS.

Wir veranstalteten noch zahlreiche Freundschaftstreffen, bilaterale Treffen und politische Diskussionsrunden, die stets sehr gut besucht waren. An dieser Stelle möchte ich unser neues Cuba-Soliprojekt erwähnen, das die Sanierung einiger Universitätsgebäude in Matanzas beinhaltet. Bitte helft! Spendet für dieses Projekt!

So wurde aus der algerischen Jubelveranstaltung ein politisches Festival der fortschrittlichen Jugend der Welt gemacht.

Leider gab es keinen Ausschluss der irakischen Staatsdelegation sondern nur eine Rüge an ihrem Verhalten seitens des IOCs. Der sich dem Druck des NPC Algeriens, diesen Vorfall zu verharmlosen, beugen mußte.

Als wir am 18.8. in Schönefeld landeten, freute ich mich zum einen auf zu Hause, zum anderen hätte das Festival jetzt erst richtig anfangen können.

P.S.: Als Reaktion auf die allgemeinen Schwierigkeiten boten sich mehrere Länder an die 16. WFS auszutragen. Ich favorisiere Vietnam. Und die SDAJ-Delegation hatte sich schon am Eröffnungstag folgendermaßen geäußert: „Ho, Ho Ho Chi Min, Che Guevara , Lenin!!! Hoch die internationale Solidarität!“