Europäischer Klub – Antimilitaristische Gegenstrategie


Diskussionsrunde zu Militarismus und Antimilitarismus im Europäischen Klub

Deutschland ist also wieder voll da. Vorbei ist es mit dem Konsens „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!“ Krieg ist heute wieder „normales“ Mittel deutscher Außenpolitik zur Durchsetzung imperialistischer Interessen. Die BRD treibt aber nicht nur die Rüstung und Militarisierung in der BRD voran, sondern spielt auch bei der Militarisierung Europas und der Zuspitzung der innerimperialistischen Konflikte eine Vorreiterrolle. Wie reagiert die Bevölkerung in der BRD darauf? Was tun antimilitaristische Kräfte in Deutschland?

Die Bevölkerung in der BRD ist nicht für Kriege. Während des Angriffskrieges gegen Jugoslawien ergaben Umfragen eine Ablehnung des Krieges von bis zu 70 Prozent. Vor allem im Osten des Landes, also auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war die Ablehnung deutlich. Die Bundesregierung hatte zur Durchsetzung des Krieges enormen Aufwand in der psychologischen Kriegsführung betreiben müssen. Die Lügen von den Massakern in Rugovo und Racak, dem KZ in Pristina und die Erfindung des Hufeisenplans waren Ergebnisse ihrer Propaganda. Die Stilisierung Milosevics zum neuen Hitler bis hin zu der Behauptung mit dem Krieg ein neues Auschwitz, also einen neuen Faschismus, verhindern zu wollen, waren der dreckigste Versuch, in Deutschland Kriegsstimmung zu erzeugen.

Inzwischen sind all diese Lügen entlarvt. Die Gefährdung deutscher Soldaten auf dem Balkan durch Uran-Munition und die Möglichkeit künftiger Bodenkriege, bei denen das Leben der deutschen Soldaten real gefährdet sein wird, tun ihr übriges. Solche Ängste sorgen noch nicht für eine antimilitaristische Haltung, aber doch für eine Ablehnung von Krieg. Die stetig steigende Zahl der Kriegsdienstverweigerer ist ein weiteres Indiz. Vielen jungen Männern wird bewußt, dass sie als Kanonenfutter herhalten sollen.

Aber allen Umfrageergebnissen und Kriegsdienstverweigerungen zum Trotz findet sich diese ablehnende Haltung nicht auf der Straße wieder. Weder während des Krieges gegen Jugoslawien noch bei dem erneuten Kriegsgeschrei vor wenigen Wochen, die zum Einsatz in Mazedonien riefen, kam es zu Massenprotesten. Im Gegenteil: Antimilitaristen fanden sich oft nur mit wenigen zu ihren Aktionen und wurden dafür ignoriert bis belächelt. Von Antikriegs-Manifestationen wie sie zum Beispiel in Griechenland stattfanden, können wir nur träumen.

Dennoch: Es gibt eine Friedensbewegung in der BRD. Zwar ist sie nicht mehr vergleichbar mit der Massenbewegung gegen die Wiederbewaffnung der BRD in den 50ern und auch nicht mit denen gegen die Hochrüstung in den 80ern. Aber sie hat dennoch eine klare Stärke: Nämlich ihre klare Orientierung gegen Auslandseinsätze der deutschen Armee. Die Friedensbewegung informiert über die Umstrukturierung der Armee und über das Ziel, die Schaffung einer Interventionsarmee. Damit richtet sie sich – wenn auch nicht immer so benannt – deutlich gegen die imperialistische Kriegspolitik. Noch etwas zeichnet die Friedensbewegung aus: Sie hat keinerlei Illusionen mehr über die sozialdemokratisch-grüne Regierung der BRD.

Seit einigen Monaten läuft in der BRD eine Unterschriftenkampagne unter dem Motto „Kriege verhindern – Einsatzkräfte auflösen!“ An dieser beteiligen sich hunderte örtliche Friedensgruppen, Ortsgruppen der Gewerkschaften und natürlich auch Kommunistinnen und Kommunisten. Auch die SDAJ unterstützt diese Kampagne. Die Unterzeichner des Appells „Kriege verhindern – Einsatzkräfte auflösen!“ lehnen den Umbau der Bundeswehr ab und fordern die Bundesregierung daher auf:
* die 150 000 Soldaten starken Einsatzkräfte aufzulösen
* die Beschaffung neuer Waffen und Ausrüstungen zu stoppen
* und die eingesparten Mittel in zivile Projekte (wie Bildung, Umwelt, Soziales) zu investieren.

Die Auflösung der Einsatzkräfte ist der einzige Weg, Auslandseinsätze zu verhindern. Denn die Einsatzkräfte haben keine andere Bestimmung als Krieg zu führen. Ihre Auflösung soll der erste Schritt zur Abschaffung der gesamten Armee sein. Wir denken, dass eine solche Kampagne auch auf europäischer Ebene gegen den Aufbau der Europäischen Interventionsarmee sinnvoll ist. Deshalb wollen wir die Weltfestspiele auch dazu nutzen, mit europäischen Jugendverbänden zu überlegen, ob und wie man eine solche Kampagne angehen kann.

Die deutsche Friedensbewegung hat mit ihrer Kampagne einen Hebel gefunden, wieder mehr Menschen in die Friedensarbeit einzubeziehen. Nicht zuletzt, weil sie den Zusammenhang zwischen Kriegspolitik und Sozialabbau herstellt. Denn hier wird der Widerspruch für die Menschen offensichtlich. Kurz umrissen leben wir in einem der reichsten Länder der Erde. Dieses Land ist allerdings nicht in der Lage, den Menschen Arbeit, Bildung und Ausbildung zu geben. Täglich gibt es neue Nachrichten über Massenentlassungen bei den Großkonzernen. Wenn es um Ausbildung, Bildung und soziale Rechte der Menschen in der BRD geht, heißt es grundsätzlich es ist kein Geld da. Die Staatskassen sind leer. Das aber paßt nicht zusammen mit den 60 Milliarden Mark, die die BRD allein im Jahr 2000 für Waffen und ihre Armee ausgegeben hat. Diese Widersprüche spitzen sich zu und sie sind ein Hebel, wieder mehr Menschen in die Friedensarbeit einzubeziehen.

Die klare Orientierung der Friedensbewegung gegen den Umbau der Armee ist für uns zugleich Handlungsorientierung. Neben der Aufklärungsarbeit über den Charakter der Armee und ihre Aufgaben, gilt es überall dort zu sein, wo die Armee auch ist. Jeden Sommer zieht die Armee mit ihren Werbeausstellungen zum Heer, zur Marine und zur Luftwaffe durch die BRD. Gezielt zieht die Armee durch Schulen, Universitäten und Arbeitsämter, um Kanonenfutter zu rekrutieren. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit bietet sie sich mit vielen Versprechen als Arbeitgeber an. Auf Jugendmessen stellt sie sich als Abenteuerverein dar. Und zur neuen Normalität in der BRD gehört auch, dass die Rekruten ihren Eid in der Öffentlichkeit leisten. Allen diesen Ereignissen ist gemeinsam, dass die Armee ihr Treiben – also Krieg – verherrlicht, das Soldat-Sein als einen völlig normalen Arbeitsplatz darstellt und ihre braunen Traditionslinien leugnet. Das Stören dieser Werbe- und Jubelveranstaltungen und die Aufklärung über die Realität der Armee sind nicht einfach. Denn Armee und Polizei reagieren äußerst sensibel auf kritische Stimmen. Konkret bedeutet das: Polizeiknüppel, Knast und Gerichtsverfahren für Antimilitaristen.

Besonders auffällig ist, dass insbesondere Jugendliche in den Reihen der Friedensbewegung fehlen. Das mag auch an den nicht immer zeitgemäßen Aktionsformen der Friedensbewegung liegen, aber sicher nicht nur. Als SDAJ, also als kommunistischer Jugendverband ist es natürlich unsere Aufgabe den imperialistischen Charakter der Kriegspolitik in die Bewegung zu tragen. Also den Militarismus als Wesensmerkmal des Imperialismus darzustellen und seinen Klassencharakter zu verdeutlichen. Eine weitere ganz wichtige Aufgabe der SDAJ ist es aber, mehr Jugendliche für den Kampf gegen Kriege zu mobilisieren. Unseren Ansatz, das zu schaffen, will ich hier näher ausführen. Wir denken, dass es nur gelingen wird, mehr Jugendliche in die Friedensarbeit einzubeziehen, wenn wir deutlich machen, dass die Jugendlichen in der BRD direkte Betroffene der Militarisierung sind.

Es geht uns nicht darum, eine neue Angstbewegung zu schaffen. Aber dennoch muss deutlich gemacht werden, dass die Gefahr für Soldaten und inzwischen leider auch Soldatinnen durch die Interventionspolitik der Bundesregierung wächst. Schon im nächsten Krieg wird es wahrscheinlich nicht mehr so sein, dass deutsche Soldaten aus sicherer Höhe Dörfer, Brücken und Zivilisten bombardieren. Dann werden sie mit Bodentruppen in fremde Länder eindringen und auf Widerstand stoßen. Unweigerlich wird es Tote und Verletzte geben. Aber nicht nur Angst soll Soldatinnen und Soldaten zum Aussteigen, verweigern und desertieren  bewegen. Sie müssen sich die Frage stellen, für wen sie sich diesen Gefahren aussetzen und warum. Das sind Fragen, die wir stellen müssen.

Um nicht missverstanden zu werden: Unsere Solidarität gehört in allererster Linie den Opfern der angegriffenen Länder und nicht den deutschen Soldaten. Sie gehört dem Volk Jugoslawiens. Unsere Solidarität gilt den Völkern, die sich der Politik von IWF und Weltbank nicht unterwerfen und deshalb von Angriffen der imperialistischen Mächte, der NATO, der EU und Deutschlands bedroht sind. Dennoch: Jugendliche, insbesondere Arbeiterjugendliche sind – aus den ökonomischen Zwängen heraus – Manövriermasse im Krieg und dienen dem Kapital als Kanonenfutter. Die Bundeswehr wirbt in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Ausbildungsmisere gezielt mit attraktiven Jobs und Ausbildung. Mancher Jugendliche sieht im Gang zur Bundeswehr einen Ausweg aus seiner miserablen Situation und eine Zukunftsperspektive. Diese Jugendlichen gilt es davon zu überzeugen, dass Krieg führen und in fremde Länder einzufallen eben kein ganz normaler Arbeitsplatz ist.

Ein Großteil der Jugend in der BRD ist nicht direkt davon betroffen, für die Imperialisten ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen. Dennoch sind auch sie  Betroffene der Kriegspolitik. Für Jugendliche sind die Zukunftsperspektiven in der BRD besonders düster. Die Grundrechte auf Arbeit, Bildung und Ausbildung werden dem Großteil der Jugend verwehrt. Ein selbstbestimmtes Leben scheitert zumeist an finanziellen Mitteln. Unsere Argumente, dass dieses Geld in die Rüstung fließt, ist so alt wie richtig. Auch in Zukunft wird es darum gehen, die Rüstungsausgaben immer wieder zu benennen und aufzurechnen, was man mit diesen Geldern vernünftiges machen könnte. Wir stellen in unseren Flugblättern zum Beispiel gegenüber, dass man statt 180 Eurofighter zu kaufen, 250 000 Sozialwohnungen bauen könnte. Und dass der Gegenwert von 80 Kampfhubschraubern 800 Kindergärten sind.

Abgesehen von diesem finanziellen Aspekt dringt die Militarisierung in immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens vor. Dem kann sich niemand entziehen. Jüngstes und krassestes Beispiel dafür ist die Militarisierung des Gesundheitswesens. Mitten im Krieg gegen Jugoslawien schlossen der Dachverband der Krankenhäuser und das „Verteidigungs“ministerium einen Vertrag ab. Es geht um eine drastische Verkleinerung des Sanitätswesens der Armee, um Mittel für Beschaffung neuer Waffentechnologien freizumachen. Dazu sollen zivile Krankenhäuser in den Dienst der Armee gestellt werden. Auf der Homepage der Armee heißt es: „Unter Berücksichtigung  der bei Soldaten … zu erwartenden Gesundheitsstörungen mit besonderem Schwerpunkt in der  traumatologischen Akutversorgung (äußere Verletzungen) sollen geeignete zivile Partnerkrankenhäuser bestimmte Kriterien … erfüllen. Sie sollten über spezifische… Fachgebiete (Orthopädie, Urologie, Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie) verfügen.“ Wer denkt da nicht an zerschossene Soldatengesichter? Jedes der geplanten 56 Partnerkrankenhäuser soll im Bedarfsfall 1000 Krankenhausplätze für verletzte Soldaten zur Verfügung stellen. Wir reden hier also von eingeplanten 56 000 verletzten deutschen Soldaten. Das ist eine Zahl, die einiges aussagt über die Dimensionen zukünftiger Kriege.

Die Krankenhäuser sollen zur kostenlosen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Militärärzten und Sanitätern verpflichtet werden. Bei Personalengpässen bei der Armee sollen die Krankenhäuser Personal für Armee-Kliniken abstellen. Ärzte, Pfleger, Schwestern und auch Kriegsdienstverweigerer, die ihren Zivildienst in Krankenhäusern ableisten, werden in Zukunft also direkte Dienstleister der Armee sein. Zum Glück sind diese Vorhaben nicht unwidersprochen. Viele Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern protestieren und auch die Gewerkschaft leistet in diesem Fall eine wertvolle antimilitaristische Arbeit.

Ein weiterer Aspekt der Militarisierung der Gesellschaft ist die angelaufene enge Kooperation von Großindustrie und Bundeswehr. Das ist nicht grundlegend neu, Interessenidentität gab es natürlich immer. Aber es zeichnet sich eine neue Qualität ab. Im Dezember 1999 unterzeichneten der sozialdemokratische Kanzler, sein „Verteidigungs“minister und 33 Vertreter der Großindustrie einen Partnerschaftsvertrag „zugunsten einer modernen Verteidigung“. Unter den Unternehmen befinden sich klassische Rüstungskonzerne wie Daimler-Chrysler und Krauss-Maffei, aber auch Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Deutsche Post, Siemens und Microsoft. Inzwischen sind dem Vertrag über 120 Großbetriebe beigetreten.

Ziel dieser Zusammenarbeit ist auch hier die Teilprivatisierung der Armee durch die Gelder eingespart werden sollen. Die Rationalisierungsgewinne sollen direkt wieder in die Beschaffung von Ausrüstung und Waffen gesteckt werden. Die Industrie übernimmt also Aufgaben der Bundeswehr und erhält dadurch noch größere Rüstungsaufträge. Die Ergebnisse sehen etwa so aus: Eurofighter-Piloten werden direkt bei Daimler-Chrysler ausgebildet. Mit Hilfe der Telekom wird ein flächendeckendes Kommunikations- und Datennetz geschaffen, welches auch nutzbar für Auslandseinsätze der Bundeswehr ist. Die Deutsche Post, die eng mit der Bekleidungsindustrie zusammenarbeitet, übernimmt die Bekleidung der Armee. Weitere Beispiele ließen sich aufzählen. Krieg und Kriegsvorbereitung betrifft also alle gesellschaftlichen Bereiche. Immer mehr Arbeiterinnen, Arbeiter und Auszubildende werden so ohne ihre Zustimmung Handlanger des Militarismus.

Ich habe viele Bereiche aufgezählt, durch die Krieg und Kriegsvorbereitung alle betrifft und in Zukunft noch stärker betreffen wird. Dies ist Ausdruck einer allgemeinen Militarisierung der Gesellschaft. Das Fazit ist: Nur wenn es uns gelingt, Jugendlichen zu vermitteln, dass sie direkt betroffen sind, kann es gelingen wieder mehr Menschen in die antimilitaristische Arbeit einzubinden. Unsere Agitation gegen Kriegstreiberei und Aufrüstung muss immer verbunden sein mit unseren Forderungen nach einem Recht auf Bildung, Ausbildung, Arbeit und selbstbestimmtes Leben. Insbesondere die Arbeiterjugend, gegen deren Interessen imperialistische Kriegspolitik grundsätzlich steht, muss wieder für das Thema Krieg und Frieden sensibilisiert werden. Für eine Agitation in ihren Reihen hat das Referat vor allem im letzten Teil hoffentlich konkrete Argumente geliefert.