Unter Bedingungen


Die staatliche russische Nachrichtenagentur hatte es eilig. Schon im November meldete TASS, dass die nächsten Weltfestspiele der Jugend und Studenten 2017 in Russland stattfinden werden. Nur: Der Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ), auf dessen Initiative die Weltfestspiele stattfinden, hatte das noch gar nicht entschieden. Rosmolodesh, die »Föderale Jugendagen­tur« Russlands, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Logo für das Festival entworfen, sogar einen Imagefilm und T-Shirts hatte sie bereits produzieren lassen. Nun hat der Generalrat des WBDJ auf seiner Tagung in Moskau am 6. Februar tatsächlich beschlossen, dass die nächsten Weltfestspiele in Russland stattfinden sollen – aber er knüpft die weitere Vorbereitung an Bedingungen.

Mal kleiner, mal größer

Seit 1947 sind die Weltfestspiele ein großes Treffen der antiimperialistischen und demokratischen Jugend der Welt. Hier treffen sich junge Kommunistinnen und Kommunisten, Linke, Gewerkschafter und Aktive von nationalen Befreiungsbewegungen, um sich über die Kämpfe in ihren Ländern auszutauschen und um miteinander zu feiern, um gegen den Imperialismus zu demonstrieren und um Kraft und Selbstvertrauen mit nach Hause zu bringen. Bis zur Konterrevolution von 1989/90 fanden die meisten Festivals in sozialistischen Staaten statt, 1997 konnte diese Tradition weitergeführt werden, weil Kuba sich als Gastgeber angeboten hatte.

2001 in Algier, 2005 in Caracas, 2010 in Pretoria und 2013 in Quito fand das Festival in kapitalistischen Staaten statt – während die antiimperialistische Jugendbewegung und der WBDJ bei weitem nicht mehr so stark sind wie früher. Das heißt auch: Sie muss dafür kämpfen, dass der Charakter des Festivals gesichert bleibt.

Das Festival ist nur denkbar mit staatlicher Unterstützung: Den organisatorischen und finanziellen Aufwand, um eine rund einwöchige Großveranstaltung mit einigen zehntausend Jugendlichen aus der ganzen Welt auszurichten, können die Mitgliedsorganisationen des WBDJ im Gastgeberland nicht in Eigenregie bewältigen. Zwischen dem antiimperialistischen Charakter des Festivals und der Zusammenarbeit mit der Regierung eines kapitalistischen Landes kann es Widersprüche geben. Mal größere Widersprüche, wie 2001 in Algerien, als die Regierung eine möglichst unpolitische Gelegenheit zur Selbstdarstellung wollte. Sie ordnete das Festival der Verantwortung der Tourismusbehörde zu, hatte aber kurz zuvor Proteste einer nationalen Minderheit blutig niedergeschlagen. Mal kleinere Widersprüche, wie 2005 in Venezuela, als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch kamen, um die antiimperialistische Regierung zu unterstützen – die Reden des Präsidenten Hugo Chávez gehörten auch inhaltlich zu den Höhepunkten des Festivals.

Die Widersprüche in der Vorbereitung des nächsten, 19. Festivals sind schon jetzt deutlich erkennbar. Wird es wie die bisherigen Weltfestfestspiele ein politisches, antiimperialistisches Festival unter Federführung der WBDJ-Organisationen sein? Oder soll es eine Veranstaltung der russischen Regierung sein, die der nationalistischen Selbstdarstellung dient und auf der klassenkämpferischere Positionen nur im Hinterzimmer Platz haben? Die russischen Behörden wollen das Festival – aber sie wollen offenbar ein anderes Festival als der WBDJ.

Was für ein Festival?

»Die russische Regierung versucht, das Festival unter ihre Kontrolle zu bringen und seinen Charakter zu verändern«, sagt Thanasis Spanidis, der als Vertreter der SDAJ an der WBDJ-Generalratstagung in Moskau teilgenommen hat. »Sie will das Festival zur Selbstdarstellung nutzen, um sich als Garant einer ‚multipolaren Weltordnung‘ zu präsentieren.« Das Festival soll 100 Jahre nach der Oktoberrevolution stattfinden – eine Revolution, die dem weltweiten Kampf gegen den Imperialismus neuen Aufschwung und eine neue Perspektive gegeben hat. »Dieser Jahrestag muss deshalb eine zentrale Rolle auf dem Festival spielen – aber wir haben ja in den letzten Wochen wieder gesehen, wie Putin diese Revolution beurteilt,« so Thanasis.

In einem Pressebericht liest sich die Rolle der staatlichen Jugendagentur Rosmolodesh so: »Auf Anweisung des Präsidenten Wladimir Putin« habe Rosmolodesh sich als Gastgeber beworben, der WBDJ habe diese »Intiative unterstützt«. Die Behörde hat schon vor einigen Monaten ein Treffen zur Festival-Vorbereitung durchgeführt. Eingeladen waren drei der vier russischen WBDJ-Mitgliedsorganisationen. Nicht eingeladen war die Revolutionäre Kommunistische Jugendliga (Bolschewiki) (RKSMB), die Jugendorganisation der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei. Denn diese Organisation ist zwar Mitglied des WBDJ und wäre deshalb normalerweise Teil der Vorbereitung. Aber sie kämpft gegen den russischen Kapitalismus und die Putin-Regierung und schätzt Russland als imperialistisches Land ein. Auch weitere Vorbereitungstreffen fanden ohne Einladung an die RKSMB statt, der Verband hat zu bestimmten Informationen über den Vorbereitungsprozess keinen Zugang. Statt dessen bindet Rosmolodesh andere, regierungsnahe Jugendorganisationen in den Prozess ein. Die Behörde hätte sich selbst gerne als Ausrichter, den WBDJ als Berater und Unterstützer des Festivals gesehen. Sie will ein allgemeines Jugendfestival, das nicht auf die antiimperialistische Orientierung des WBDJ festgelegt ist – und dazu muss sie eine revolutionäre Jugendorganisation wie die RKSMB ausgrenzen.

Von den vier russischen WBDJ-Mitgliedern nehmen zwei dabei die Position der Behörde ein. Die Leninistische Kommunistische Jugendliga der Russischen Föderation (LKSM RF) hat sich zur Ausgrenzung der RKSMB nicht klar positioniert. Die LKSM RF ist die Jugend der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und die größte Organisation unter den russischen WBDJ-Mitgliedern. Anscheinend gibt es auch innerhalb der Organisation Debatten darüber, wie sie sich in die Vorbereitung des Festivals einbringen soll. Der Vorsitzender Anatoli Dolgatschiow trat dagegen optimistisch auf: Die Linke sei in Russland traditionell stark – stark genug, um den Charakter des Festivals zu sichern, erklärte er gegenüber den TeilnehmerInnen der Tagung.

Vorbehalte

Auch die anderen Mitgliedsorganisationen des WBDJ bewerten die bisherige Vorbereitung sehr unterschiedlich: Einige sehen die russische Regierung von vorneherein als antiimperialistische Kraft und sehen kein grundsätzliches Problem, wenn die Behörden auch die Ausrichtung des Festivals beeinflussen können. Andere – neben der SDAJ zum Beispiel auch die kommunistschen Jugendverbände aus der Türkei und der tschechischen Republik, die griechische KNE und die UJCE aus Spanien – sehen große Probleme. Die Bedingungen, die der WBDJ-Generalrat beschlossen hat, sehen deshalb vor, dass die volle Kontrolle über die inhaltliche Ausrichtung des Festivals beim WBDJ und beim Nationalen Vorbereitungskomitee liegen muss – das schließt die Entscheidung über den Ort, über das Logo und über das Programm ein. Wenn sich im Laufe der Vorbereitung zeigt, so der Beschluss, dass diese Kontrolle nicht gewährleistet ist, behält sich der WBDJ vor, die Vorbereitung auszusetzen oder zu beenden.

Denn: »Wenn der ganze organisatorische Rahmen außerhalb unserer Kontrolle läge – wie sollten wir dann den antiimperialistischen Charakter des Festivals sichern?«, fragt Thanasis. Denn die einzige Bewerbung, um das Festival durchzuführen, kam aus Russland. Die Behörden schlagen Sotschi als Ort des Festivals vor – dort gibt es zwar durch die olympischen Spiele eine gute Infrastruktur, aber am Ort selbst keinen Bezug zur Oktoberrevolution.

Hinter dem Druck, mit dem die russischen Behörden ihren Einfluss auf die Vorbereitung ausbauen wollen, steht viel Geld. Für die Generalratstagung stellten sie ein teures Hotel, gehobenes Catering und Livemusik zur Verfügung. Dafür baten sie dann aber auch zu der Sitzung, in der die Abstimmung über die russische Bewerbung stattfand, gleich Vertreter der russischen Medien dazu – die eigentliche Entscheidung trafen die Teilnehmer der Sitzung vor Pressekameras. Bei dieser Abstimmung sprach sich auch die SDAJ für das Festival in Russland aus – denn: »Wir haben das bestmögliche Ergebnis erreicht – klare Bedingungen vom gesamten Weltbund, mit der Option das wieder abzusagen«, schätzt Thanasis ein. »Natürlich wird die Regierung versuchen, aus dem Festival Kapital zu schlagen – aber wir werden weiter daran arbeiten, dass wir zum Jahrestag der Oktoberrevolution die antiimperialistische Tradition der Weltfestspiele fortsetzen können.«

Dieser Artikel von Olaf Matthes erschien am 19. Februar 2016 in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit